CHRISTA SCHMID
Seit 1996 beherrschen zwei Themen die Arbeit von Christa Schmid: Die "Netze" und "Schrott". Die Bereiche könnten gegensätzlicher nicht sein; aber sie haben etwas gemeinsam: Die Vorlage Christa Schmid arbeitet in diesen beiden Serien nicht - wie früher - direkt vor dem Objekt. Sie benutzt Abbilder als Vorlagen-Fotografien. Einmal, bei den Netzen, ist es ein Farbfoto aus einer Illustrierten: Die Aufnahme eines von Trok-kenheit gerissenen Bodens in der Sahelzone. Der Boden ist durch tiefschwarze Risse in ein gleichmäßiges Liniennetz geteilt. Ein Bild lautloser Gewalttätigkeit; Ausdruck eines langen widerstandslosen Leidens. Der zweite Arbeitsbereich ist durch aktives Vorarbeiten gekennzeichnet: Christa Schmid benutzt selbst die Kamera. In der Nähe ihres Ateliers befindet sich ein Schrottplatz. Eher durch Zufall gelangte sie dorthin und war begeistert von den dort zu Bergen getürmten Abfällen. Eine Serie von Aufnahmen bildet die Grundlage für ihre Malerei.
Netze
Der Ausgangspunkt für "Netze" ist also ein einziges Foto. Jeder kennt das: Beim - oft gedankenlosen - Durchblättern einer Illustrierten springt einen ein Bild an. Man hält inne, mustert das Bild, sucht den Punkt, die Sensation, das oft Obszöne, Enttabuisierte, findet es, das hungrige Auge ist gesättigt - man blättert weiter. Anders hier: Es ist ein stilles Bild, eines, das uns nicht anschreit vor Sensation. Es ist nicht das direkte Abbild verhungernder Menschen und krepierter Tiere. Es ist ein Bild, das auf Umwegen daherkommt: Das Rissenetz in der ausgelaugten Erde. Aus diesem Vorwurf macht Christa Schmid eine Serie von Acrylbilder. Aus den Rissen mit ihrer plastisch-bröckligen Rändern wird ein Liniennetz aus Umbra und Schwarz. Die Linien definieren sich als Netz, das Binnenflächen umschließt. Räumlichkeit im Sinne von Perspektive verschwindet. Tiefe entsteht durch Farbe. Erdfarben, die feldweise moduliert werden, addieren sich zu einer eruptiven Gesamtheit. Ohne daß eine Lichtquelle auszumachen wäre, ergeben sich Hell-Dunkelverläufe, die den Eindruck vermitteln, die Bilder seien von hinten beleuchtet. Es ist als schimmere magmaähnlich ein verborgenes Licht. Diese Lichtführung ist es, die den Bildern eine eigene düstere Athmosphäre gibt. Etwas, das dem unruhigen, den Linien folgenden Blick auf einen Punkt lenkt und ansaugt, in die Tiefe des Bildraumes.
Schrott
Ein völlig anderes Vorgehen zeichnet diese Serie aus. Bereits mit der Absicht der Verwertbarkeit wird der Schrottplatz aufgesucht. Das rechtwinklige Auge der Kamera definiert Bilder vor durch seine Form. Ein Ausschnitt ist durch Aus-schluß des Umgebenden immer eine Komposition und macht "Etwas" zu "Bedeutendem". Ein Schrottplatz ist durch die Unbegrenztheit seiner überquellenden Bereiche gekennzeichnet; die Aufhäufung von zunächst zweierlei Strukturen. Da sind zuerst die Halden des Gleichförmigen. Stanzabfälle, Prägeteile, Ausschuß. Ordnungen von Form- und Materialgleichem. Kleinteiligkeit addiert sich zu einer oft filigranen Gesamtstruktur. Anders die Konglomerate der wesensfremden, zufällig zusammengeschütteten Individuen oder deren Teile. Aus einem Funktionszusammenhang herausgerissen, treffen sie sich hier mit Schicksalsgenossen, um ein letztes großes Fest zu feiern: Das Fest der Metamaschine. Aber nicht der mechanisch belebte Reiz des großen Maschinisten Tinguely ist es, was Christa Schmid interessiert, ihr geht es um Bewegung durch Komposition. Bei der Umsetzung verschwindet die Distanz der Kamera, die Gegenstände werden umsortiert, vergrößert, überlagert, zu einer Bild-ordnung gebaut. Räder werden zu Kreissegmenten, die die Bilddynamik antreiben. Star-rende Achsen und trotzige Gußblöcke bremsen den Blick. Tatsächlich wird hier ein Tanz aufgeführt von Farben und Formen. Ein labiles Gleichgewicht kennzeichnet diesen Tanz. Und dieses ist auch ein Aspekt der Bildregie: Aufgetürmt. verhakt, kippig sind die Kompositionen; man bewegt sich umwillkürlich vorsichtiger vor diesen zum Teil monumentalen Bildern. Eine unvorsichtige Bewegung, ein Stück Blech wackelt, ein großes Eisen kommt ins Wanken, Darüberliegendes dreht sich aus dem Gleichgewicht, der Berg rutscht, fällt, kippt aus dem Bild ...
Gerd Hartmann |